Robert Silverberg (Hrsg.)

Science Fiction

Hall of Fame, Band 1

 

1970

 

    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Golkonda

405 Seiten

Broschierte Ausgabe 2016



 

Der Hintergrund

Im Jahr 1970 wählten die damaligen Mitglieder des Schriftstellerverbandes "Science Fiction Writers of America" die ihrer Ansicht nach besten SF-Kurzgeschichten, die vor der ersten Vergabe des Nebula Awards - also bis 1964 - erschienen sind. Von den dreißig bestplatzierten wurden schließlich sechsundzwanzig unter der Regie von Robert Silverberg in einem Sammelband herausgegeben. (Jeder Autor sollte nur mit einer Geschichte vertreten sein, deshalb wurden einige Storys "disqualifiziert".) Die so ent-standene Anthologie enthält legendäre Klassiker der Crème de la Crème amerikanischer (sowie eines britischen) Science Fiction-Schreiber und genießt wahren Kultstatus.

Der Golkonda Verlag sicherte sich die Rechte für den deutschsprachigen Markt, um diese Sammlung hierzulande erstmals komplett - aufgeteilt auf zwei Bände - heraus-bringen zu können. Der hier besprochene erste Teil enthält die zwölf zwischen 1934 und 1948 entstandenen Geschichten und erschien im Frühjahr 2016.

Teil 2 ist für 2017 angekündigt und umfasst den Zeitraum bis 1964.

 

 

Das Thema

Berühmte Kurzgeschichten aus der Zeit des Golden Age der Science Fiction

 

 

Der Einstieg

"Die vorliegende Anthologie kann mit einigem Recht als das definitive Standardwerk zeitgenössischer Science Fiction - Geschichten gelten und wird diesen Status wohl auch noch für eine ganze Weile innehaben." 

Robert Silverberg trägt in seinem Vorwort ganz schön dick auf. Aber Recht hat er.

 

 

Der Inhalt

Stanley G. Weinbaum: "Eine Mars-Odyssee" (1934)

John W. Campbell Jr.: "Abenddämmerung" (1934)

Lester del Rey: "Helena" (1938)

Robert A. Heinlein: "Die Straßen müssen rollen" (1940)

Theodore Sturgeon: "Der mikrokosmische Gott" (1941)

Isaac Asimov: "Einbruch der Nacht" (1941)

A.E. van Vogt: "Der Waffenladen" (1942)

Lewis Padgett: "Gar elump war der Pluckerwank" (1943)

Clifford D. Simak: "Zuflucht" (1944)

Fredric Brown: "Arena" (1944)

Murray Leinster: "Erstkontakt" (1945)

Judith Merril: "Nur eine Mutter" (1948)

 

 

Form, Stil und Sprache

Diese Anthologie enthält Erzählungen, die in den Jahren zwischen 1934 und 1948 entstanden sind. Damit ist klar, dass keine modernen stilistischen Spielereien zu erwarten sind und selbstverständlich auch einige sprachliche oder inhaltliche Anachronismen auffallen. Manche Storys sind auch heute noch wunderbar lesbar, andere vielleicht etwas weniger gut gealtert. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Werken aus dieser Zeit kann man doch festhalten, dass keine einzige Geschichte von Grund auf verstaubt wirkt oder aus heutiger Sicht nicht mehr zu genießen sei. Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass in Texten aus der damaligen Zeit gelegentlich schon mal herablassend von "Wilden" die Rede ist oder ein aus heutiger Sicht befremdliches Frauenbild vermittelt wird. Solche Kröten gilt es auch bei dieser Anthologie manchmal zu schlucken.

So verschieden und abwechslungsreich die zwölf Geschichten sind, so unterschiedlich sind auch die stilistischen Mittel ihrer Verfasser. So bedienen sich beispielsweise die Beiträge von Theodore Sturgeon oder Clifford D. Simak sicherlich einer geschliffeneren Sprache als die Abenteuergeschichten eines Stanley G. Weinbaum oder Fredric Brown.

Aber auch hier gilt: Ausfälle gibt es keine.

 


Die Geschichten

+++++ Stanley G. Weinbaum: Eine Mars-Odyssee +++++

Ganz klassischer Golden Age - Stoff: Eine fantasievolle Abenteuergeschichte mit jeder Menge "Sense of Wonder" um geheimnisvolle Entdeckungen, eine mysteriöse Mars-fauna, intelligente Lebensformen und spannende Kommunikationsversuche.

 

+++++ John W. Campbell Jr.: Abenddämmerung - - - - -

Eine Zeitreisegeschichte, in der es jedoch ausnahmsweise mal nicht um die Verwicklungen und Paradoxa geht, die sich daraus ergeben können, sondern um die Beschreibung einer sehr, sehr fernen Zukunft. Dementsprechend besteht die Story auch mehr aus Beschreibungen als aus Handlung. Handwerklich vielleicht etwas umständlich erzählt, aber mit einer interessanten Grundidee und einer schön melancholischen Stimmung.

 

+++++ Lester del Rey: Helena - - - - -

Unterhaltsame, aber doch etwas naiv wirkende Erzählung über einen weiblichen Haushalts-roboter, dem menschliche Gefühle entgegengebracht werden - und der diese auch erwidert. Man könnte aber durchaus auch eine gewisse Medienkritik in die Story hineininterpretieren, wodurch sie dann doch nicht mehr so naiv wäre... 

 

- - - - - Robert A. Heinlein: Die Straßen müssen rollen +++++

Der längste Beitrag dieser Anthologie enthält einen interessanten gesellschafts-politischen Ansatz, welcher aber durch einige Logikschwächen, eher zweifelhafte Technik-Innovationen und nur bedingt glaubwürdige Charaktere leider zu sehr in den Hintergrund tritt.

 

+++++ Theodore Sturgeon: Der mikrokosmische Gott +++++

Eine "Mad Scientist"-Story, die sich mit genialen Ideen und spektakulären Erfindungen, vor allem aber mit moralischen und religiösen Fragen auseinandersetzt. Originell, verblüffend, erschreckend, intensiv und nachdenklich stimmend.

 

- - - - - Isaac Asimov: Einbruch der Nacht +++++

Die physikalisch-astronomische Konstellation, die Asimov hier als Ausgangspunkt für seine Geschichte erdacht hat, ist überaus originell und interessant. Die Folgen dieses Phänomens auf die menschliche Psyche erscheinen allerdings stark übertrieben, und durch diese fragwürdige Prämisse wirkt die gesamte Handlung ziemlich konstruiert. Auch erzählerisch kann "Einbruch der Nacht" nicht restlos überzeugen.

Wer über solche Schwächen hinwegsehen kann, erhält eine solide Geschichte mit einigen durchaus interessanten Anregungen zu Fragen über Wissenschaft, Mythen, Selbstverständnis, Gruppendynamik oder Massenpsychologie.

 

- - - - - A.E. van Vogt: Der Waffenladen - - - - -

Eine etwas aus dem Zusammenhang gerissene Story (tatsächlich ist sie Teil eines größeren Zyklus namens "Ischer"), und genau so wirkt sie leider auch. Ohne einen echten Anfang oder ein zufriedenstellendes Ende und mit Hauptfiguren, deren Handlungen oftmals nur schwer nachvollziehbar sind, lässt einen "Der Waffenladen" ziemlich ratlos zurück.

 

+++++ Lewis Padgett: Gar elump war der Pluckerwank +++++

In einer sehr, sehr fernen Zukunft an einem fremden Ort experimentiert jemand mit einer Zeitmaschine. Testweise schickt er altes, ausrangiertes Spielzeug seines Sohnes in die Vergangenheit. Dies ist die Geschichte von den Auswirkungen, die diese fremdartigen Gegenstände in der Zeit haben, in der sie gelandet sind. Genauer lässt sich diese Erzählung nicht beschreiben, man muss sie einfach selbst gelesen haben.

Abgefahren, seltsam, klug, verwirrend, genial!

 

+++++ Clifford Simak: Zuflucht +++++

Eine stilistisch und atmosphärisch sehr gelungene Geschichte mit einigen typischen Golden Age - Elementen: Es gibt Künstliche Intelligenzen, Roboter, (positiv besetzte) Atomenergie als DIE Energiequelle der Zukunft, Linienflüge zu den Planeten des Sonnensystems, intelligente Marsianer und... nun ja... einen vielleicht etwas konstruiert wirkenden Konflikt in der zweiten Hälfte. Aber das tut der Gesamtqualität und dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Ein weiteres Highlight.

 

+++++ Fredric Brown: Arena +++++

Ein exotisches Setting, fremdartige Aliens, Action, Spannung... und das alles vor einem gewaltigen Hintergrund. Trotzdem fokussiert sich die Handlung auf eine klitzekleine Bühne und zwei einzelne Protagonisten. Und eine positive Aussage steckt auch noch dahinter.

 

+++++ Murray Leinster: Erstkontakt - - - - -

Worum es in dieser Erzählung geht, lässt sich unschwer am Titel erkennen. Doch es handelt sich nicht um ein Invasions- oder Explorationsszenario, sondern um ein zufälliges Aufeinandertreffen auf "neutralem Boden". Daraus entwickelt sich ein Psychospiel, in dem es um die Existenz der eigenen Spezies geht. Trotz einiger Ungereimtheiten eine gelungene Geschichte über Vertrauen, Misstrauen, Verantwortung und ein scheinbar auswegloses Dilemma. Und aufgrund der verblüffend menschen-ähnlichen Aliens nicht zuletzt ein Blick in den Spiegel.

 

- - - - - Judith Merril: Nur eine Mutter - - - - -

In dieser kurzen Geschichte werden zwei Themen behandelt: ein für die damalige Zeit sehr typisches (die Angst vor einem Atomkrieg), und eins, welches heute noch genauso aktuell ist (die Angst einer Mutter um ihr neugeborenes Kind).

Trotz des stilistisch interessanten Aufbaus hinterlässt diese Geschichte ein ungutes Gefühl, und zwar nicht nur wegen des unangenehmen Themas. Denn irgendwie ist die Intention der Autorin nicht so richtig klar, und auch im Verhalten der Hauptfigur gibt es Ungereimtheiten.

Damit endet das Buch mit dem wohl zwiespältigsten Beitrag. Was aber am überaus positiven Gesamteindruck nichts ändert. 

 

  

Das Fazit

Ein Fest für Fans des Golden Age!


Robert Silverberg (Hrsg.)

Science Fiction Hall of Fame,  Band 1

Eine sf-Lit Rezension von 2017