Neal Stephenson & Nicole Galland
Der Aufstieg und Fall des D.O.D.O.
2018
Übersetzung: Juliane Gräbener-Müller
Goldmann
864 Seiten
Eine geheime Regierungsorganisation findet heraus, dass bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Magie auf der Welt existierte und versucht nun, diese mit Hilfe modernster Technik wieder 'zurückzuholen'. Nachdem das gelungen ist, wird sie vornehmlich dazu genutzt, Zeitreisen in die Vergangenheit zu unternehmen.
Interessant und ungewöhnlich: Anders als in praktisch allen anderen Zeitreisegeschichten steht hier lange Zeit gar nicht so sehr die Frage im Mittelpunkt, ob und wie Veränderungen der Vergangenheit sich auf die Gegenwart auswirken. Also gut, mittelfristig natürlich schon ... aber es geht den Beteiligten dabei eben nicht um das übliche "Wie verhindern wir das Attentat auf Kennedy?" oder "Lasst uns Hitler umbringen!", sondern eher um banalere Sachen, beziehungsweise erst einmal darum, das Prinzip dahinter zu verstehen und ganz allmählich kleine Dinge zu bewirken. Später, als die Technik besser beherrscht wird, kommen dann auch so langsam die wahren, politisch motivierten Ziele der Regierung zum Vorschein. Trotzdem sind diese weiterhin nicht der Kern des Romans.
All das wird extrem langsam und ausführlich erzählt, noch dazu auf ungewöhnliche Weise, nämlich aus verschiedensten Blickwinkeln und mit unterschiedlichsten formalen Mitteln. So können die einzelnen Kapitel beispielsweise aus Tagebucheinträgen, E-Mails, überlieferten Schriftstücken oder Medienberichten bestehen. Wer bereits andere Bücher von Stephenson gelesen hat, weiß: In seinen Romanen steckt so viel Wissen, so eine Vielzahl an Informationen und Ideen, dass andere daraus fünf Bücher machen würden. Mit-Autorin Nicole Galland schreibt ansonsten historische Romane, daher darf man auch auf diesem Gebiet von Expertenwissen ausgehen - und das merkt man den in der Vergangenheit spielenden Episoden auch an: sie wirken ebenfalls stets glaubhaft und realistisch. Man erfährt eine Menge zu geschichtlichen Hintergründen und Details verschiedener Epochen; aber auch so einiges darüber, wie eine Organisation wie D.O.D.O. funktioniert ... die letztlich auch nichts anderes als ein von bürokratischen Hürden und menschlichen Befindlichkeiten bestimmtes Unternehmen ist wie alle anderen auch. (Ein gern genutzter Anlass übrigens, um immer wieder den typischen Stephenson-Humor einzustreuen.)
Manchen Lesern könnte der Roman aufgrund der Menge an Informationen sowie der ausführlichen und ungewöhnlichen Erzählweise langweilig vorkommen. Wer sich jedoch darauf einlassen kann und möchte, wird eine hochinteressante und unterhaltsame Geschichte entdecken.
Einziger Kritikpunkt ist die Tatsache, dass einzelne Handlungsstränge am Ende relativ offen bleiben. Möglicherweise ist hier ja noch eine Fortsetzung geplant, aber nach knapp 900 Seiten hätte man sich dann doch einen eindeutigeren Abschluss gewünscht.
Ansonsten aber: Große Erzählkunst, großartige Unterhaltung - ein großer Spaß!