Marie Graßhoff
Neon Birds
2019
Lübbe
464 Seiten
Ende des 21. Jahrhunderts: Ein Nanobot-Virus gerät außer Kontrolle und verwandelt die Befallenen in emotionslose, aber technisch hochentwickelte KI-Kampfmaschinen. Viele Millionen Menschen sind bereits befallen, woraufhin riesige Gebiete und ganze Großstädte zu Sperrzonen erklärt wurden, in denen man diese Cyborg-Zombies eingesperrt und von der Außenwelt abgeschottet hat. Doch es kommt, wie es kommen muss: Einige brechen aus und richten ein Blutbad an. Und es deutet vieles darauf hin, dass sie Hilfe von außen bekommen haben ...
Das Buch beginnt direkt mit der großen Katastrophe - dem Ausbruch -, was äußerst rasante und actionreiche ein- bis zweihundert Seiten zur Folge hat, in denen reichlich gekämpft, geflüchtet, geschossen und gestorben wird. Was für ein Einstieg! Höchstgeschwindigkeit vom ersten Kapitel an: explosiv, fesselnd, modern, cool.
Irgendwann nimmt die Autorin dann aber doch mal den Fuß vom Gas, und das ist auch gut so. So großartig und spektakulär dieser Beginn auch ist, über einen kompletten Roman hinweg lässt sich das so natürlich nicht aufrecht erhalten; früher oder später wäre es doch zu viel des Guten geworden.
So folgen nach dem rasanten ersten Drittel erst einmal ruhigere Passagen, die dazu genutzt werden, die Personen eingehender zu charakterisieren, nachdenkliche Momente einzubauen und die Welt zu beschreiben. Und die hat es in sich: neben den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und technischen Errungenschaften (einschließlich ihrer dramatischen Fehlschläge) begegnen uns hier fanatische Sekten, skrupellose Politiker, gut gehütete Geheimnisse und großangelegte Verschwörungen.
Auf der menschlichen Ebene spielen Freundschaften, zaghaft angedeutete Romanzen, aber auch Traumata oder Depressionen wichtige Rollen.
Ein sehr schöner stilistischer Kniff sind außerdem die immer wieder zwischen den Kapiteln eingeschobenen kurzen Infotexte, in denen uns mittels Begriffsdefinitionen, Militärakten, Interviews oder Rückblenden die hiesige Welt nähergebracht oder auch etwas gerade geschehenes verständlicher gemacht wird.
Viele technische Details oder moderne Erfindungen, die es an der Schwelle zum 22. Jahrhundert natürlich gibt, werden zwar erwähnt oder gezeigt, es wird dabei aber auf genauere pseudowissenschaftliche Erklärungen verzichtet. Wir müssen die Dinge hier einfach so hinnehmen, wie sie sind. Das mag unbefriedigend für technikbegeisterte Hard-SF-Fans sein, auf den Lesefluss hingegen wirkt es sich absolut positiv aus.
Im späteren Verlauf der Handlung zieht das Tempo dann nochmals an, aber durchaus wohldosiert und ohne erneut ein solches Actiongewitter zu entfachen wie zu Beginn.
Kurzum: "Neon Birds" ist ein äußerst abwechslungsreicher Roman, der Spaß macht.
Einziger Nachteil: Es handelt sich um den ersten Teil einer Trilogie, was bedeutet, dass es noch jede Menge lose Enden gibt und die Geschichte längst nicht abgeschlossen ist. Aber das ist ja zugleich auch ein Vorteil.