Emily St. John Mandel
Das Meer der endlosen Ruhe
"Sea of Tranquility"
2022
Übersetzung: Bernhard Robben
Ullstein
288 Seiten
Das neueste Werk von Emily St. John Mandel (mit "Das Licht der letzten Tage" im Jahr 2016 die erste sf-Lit Award - Gewinnerin) wirkt so ein bisschen wie der Gegenentwurf zu Stephensons "D.O.D.O.": was dort detailliert und episch und ausführlich vorbereitet, ausgearbeitet und erklärt wird, findet hier einfach mal so statt. Also Zack - Zeitreisen gibt es. Fertig. Wie die funktionieren und was genau im Einzelnen damit schon angestellt wurde? Egal. Hier geht es nicht um Hard SF, sondern um die Handlung, um die Geschichte.
Das ist jetzt überhaupt nicht negativ gemeint, denn beide Romane sind hervorragend!
Über Einzelheiten kann man hier natürlich trotzdem stolpern (wird in 200 Jahren wirklich noch "gegoogelt"?), aber die sind letztlich unwichtig. Auch über den Umgang mit der Zeitmaschine sollte man lieber nicht allzu lange nachdenken: es gibt ein hochsensibles Institut, dass exklusiv dafür verantwortlich ist, aber irgendwie steht dann offenbar trotzdem bei der konkreten Ausführung kein vielköpfiges Spezialistenteam parat, sondern es wird gerne mal spontan und auf eigene Faust munter hin- und hergereist. Das wiederum erinnert an "Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv" von Jodi Taylor (was übrigens auch sehr viel Spaß macht).
Das Gute an diesem Roman sind die vielfältigen Themen, der Weltenbau, die eine oder andere überraschende Wendung, sowie die einzelnen Handlungsstränge und wie sie miteinander verwoben sind. Bei den Figuren muss man etwas aufpassen, sich durch die vielen Zeitsprünge hindurch alle Namen zu merken, und aufgrund der Kürze ihrer Auftritte sind nicht alle detailliert ausgearbeitet. Diejenigen, auf die es ankommt, sind allerdings durchaus überzeugend.
Es steckt so vieles drin: historisches, autobiographisches, Zeitreisen, Kolonialisierung des Sonnensystems und noch das eine oder andere, das nicht gespoilert werden sollte. Überhaupt gibt es für so wenige Seiten verdammt viele Themen, aber eben leichtfüßig erzählt und gar nicht überladen.
Ansonsten sollte man vorher besser gar nicht allzu viel von der Handlung wissen, dann macht es am meisten Spaß. Also, wer's noch nicht kennt: einfach selber lesen!