Ned Beauman

Der Gemeine Lumpfisch

"Venomous Lumpsucker"

 

2022

   

 

 

 

 

Übersetzung: Marion Hertle 

Liebeskind

384 Seiten



 

Hui. Dieser fünfte Roman des Briten Ned Beauman ist definitiv mal ungewöhnlich. Darüber kann/soll/wird man nach dem Lesen noch ein bisschen nachdenken. Aber der Reihe nach ...

Das große Thema der Geschichte ist das weltweite Artensterben. Anhand dieses Aufhängers, dieser wahrlich wichtigen, immer kritischer werdenden und absehbar dramatischen Entwicklung zeigt der Autor schön detailliert und gnadenlos auf, wie die Menschheit als Ganzes in Zeiten des Turbokapitalismus mit solchen Problemen umgeht, und dazu fällt einem vor allem ein Begriff ein: Zynismus.

 

Ein Beispiel in diesem Roman sind Ausrottungs-Zertifikate. Das bedeutet: man darf Spezies durch z.B. Ausbeutung oder Vergiftung des Lebensraums zum Aussterben verurteilen, die verantwortlichen Unternehmen müssen einfach nur entsprechende Zertifikate kaufen (die natürlich auch gehandelt werden können). Allzu teuer sind sie zum Glück nicht, denn die Wirtschaft soll ja nicht zu sehr belastet werden. Augenblicklich fühlt man sich natürlich an die gegenwärtige Praxis des CO2-Handels erinnert. Zur Beruhigung des öffentlichen Gewissens werden vorher schnell noch DNA-Proben der betroffenen Arten eingelagert mit dem Versprechen, sie eines Tages - vorausschauend technologieoffen sozusagen - wiederbeleben zu können.

 

Ähnliche Beispiele für rücksichtslosen Zynismus gibt es im Buch zuhauf, etwa wenn ein vermeintliches Rückzugs-Biotop für aussterbende Arten zur Giftmüll-Lagerung zweckentfremdet wird. Auch dort wurde auf eine zukünftige Wundertechnologie spekuliert, die das Problem einst lösen wird, die dann aber leider nie kam.

Die allgemeine politische Weltlage wird des Öfteren angedeutet, aber wenn die Sprache auf die USA kommt (was man eigentlich nicht tut), dann blicken alle Anwesenden betreten schweigend zu Boden. Hier ist der Roman wohl schon von der Wirklichkeit eingeholt worden. 

Auch Menschen, die z.B. mittels Pandemien oder Flüchtlingslagern ordentlich Gewinne einzustreichen hoffen, bleiben nicht unerwähnt. Oder, oder, oder. Man möchte Schreien angesichts der Realitätsnähe. Dabei ist das Ganze trotzdem so geschrieben, dass es sich extrem vergnüglich liest ... entsprechenden Galgenhumor vorausgesetzt.

 

Eine der Hauptfiguren hat nun, vereinfacht zusammengefasst, auf das Überleben der (übrigens erstaunlich intelligenten) Spezies des 'Gemeinen Lumpfischs' spekuliert und muss plötzlich befürchten, dass sie ungeplant und "versehentlich" ausgelöscht wurde. Ein finanzielles Debakel für ihn, deshalb schließt er sich einer Biologin an, die auf der Suche nach eventuell doch noch lebenden letzten Exemplaren ist. Und so nimmt der Irrsinn seinen Lauf ...

 

Wie ausführlich diese Welt und die ganze Geschichte von Beauman aufgebaut wird, ganz langsam erzählt und schön durchdacht, das ist schon richtig große Kunst! Noch dazu in einem immer leicht humorvollen Ton.

Trotz der vielen theoretischen Abhandlungen wird es zu keiner Zeit langweilig. Im letzten Drittel nimmt die Handlung dann auch noch deutlich an Fahrt auf.

 

Man könnte noch vieles schreiben, da so viel im Roman drinsteckt, aber es soll ja nicht alles verraten werden. Auf jeden Fall ist "Der gemeine Lumpfisch" ein abgefahrenes, außergewöhnliches Buch mit vielen Ideen, Seitenhieben, kritischen Denkanstößen und elegantem Stil. Da ist ein zweiter Lesedurchgang fast schon Pflicht.

 

 


Ned Beauman

Der Gemeine Lumpfisch

Eine sf-Lit - Rezension von 2024