Terry Pratchett
& Stephen Baxter
Die lange Erde
"The Long Earth"
2012
Übersetzung: Gerald Jung
Goldmann
475 Seiten
1. Ausgabe 2014
Der Hintergrund
"Die lange Erde" ist ein gemeinsames Projekt der beiden Fantasy- und Science Fiction- Legenden Terry Pratchett und Stephen Baxter. Es bildet den Auftakt einer ganzen Reihe: die Teile 2 und 3 namens "Der lange Krieg" bzw. "Der lange Mars" sind im englischen Original bereits 2013 bzw. 2014 erschienen, insgesamt waren ursprünglich fünf Romane geplant. Nach Pratchetts Tod im März 2015 wird Baxter die Reihe leider alleine zu Ende führen müssen (?). Tatsache ist jedenfalls, dass "Die lange Erde" keine vollständig abgeschlossene Geschichte erzählt. Wem sie gefällt, der hat also noch einiges vor sich.
Das Thema
Parallelwelten
Der Einstieg
"Auf einer Waldlichtung:
Als Schütze Percy erwachte, zwitscherten Vögel. Vogelgezwitscher hatte er schon lange nicht mehr gehört, dafür sorgten schon die Kanonen. Eine Zeit lang blieb er einfach liegen und genoss die köstliche Ruhe."
Ungewöhnlich: Es beginnt mit einer Verschnaufpause.
Der Inhalt
Unsere Welt existiert nicht nur einmal, es gibt sie vielmehr in tausend-, millionen-, ja milliardenfacher Ausführung. In jeder dieser Parallelwelten ist die evolutionäre Entwicklung ein bisschen anders verlaufen, so dass sich auf jeder dieser "Erden" unterschiedliche Landschaften, Pflanzen- und Tierwelten herausgebildet haben. Menschen scheinen jedoch einmalig zu sein und tatsächlich nur in der altbekannten Version unseres Planeten vorzukommen. Die Geschichte beginnt damit, dass im Internet anonym eine Bauanleitung für einen sogenannten "Wechsler" veröffentlicht wird, der es seinem Benutzer ermöglicht, zwischen diesen verschiedenen Welten nach Belieben hin- und herzuspringen. Er ist zudem so simpel zu bauen, dass von einem Tag auf den anderen nahezu jeder Mensch plötzlich die Möglichkeit hat, diese Parallelwelten zu bereisen.
Form, Stil und Sprache
Der Roman beleuchtet anfangs in einzelnen Episoden verschiedene Auswirkungen, die diese alles verändernde weltgeschichtliche Wende mit sich bringt. Die globale Wirtschaft, die Kriminalität, die Gesetzgebung, die Zukunftsaussichten jedes Einzelnen - all das wird schlagartig komplett umgewälzt, was hier nun anhand von einigen Einzelschicksalen beschrieben wird.
Im weiteren Verlauf folgt die Geschichte dann größtenteils dem 28jährigen Protagonisten, der aufgrund spezieller Fähigkeiten für eine Expedition zur Erkundung dieser zahllosen neuen Welten ausgewählt wird.
Dass dieses Buch von zwei Autoren verfasst wurde, kann man durchaus an einigen Stellen erkennen. Der typische Humor von Pratchett taucht mehrfach unverkennbar auf, während in anderen Kapiteln der eher wissenschaftlich geprägte Stil von Baxter überwiegt. Dieser gelegentliche Wechsel stört aber keineswegs: insgesamt wirkt der Text dennoch rund und harmonisch.
Lob und Kritik
+++++ Humor trifft Wissenschaft +++++
Immer wieder blitzt Pratchetts Humor auf, ohne dass es übertrieben albern wird. Schöne Formulierungen und skurrile Ideen (Stichwort: Kartoffel als Energiequelle) sind seine Stärken.
Baxter ist unterdessen dafür zuständig, auf unterhaltsame Weise mögliche Wege der Evolution aufzuzeigen; das schafft er, ohne dabei mit naturwissenschaftlichen Details zu langweilen.
- - - - - Relativ blasse Figuren - - - - -
Die Hauptperson des Romans ist zwar aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten nicht uninteressant, aber als Sympathieträger und echte Identifikationsfigur taugt
sie nur bedingt.
Letztlich bleibt der Charakter doch zu oberflächlich und so richtig mag er einem einfach nicht ans Herz wachsen. Wenn eine "Künstliche Intelligenz" die vielschichtigste und spannendste Figur des Romans darstellt, dann ist das kein gutes Zeichen...
+++++ Fantasie anregend +++++
Wenn man nach einigen Seiten mit der Thematik des Buches vertraut ist, dann fängt man unweigerlich an, sich selbst Gedanken zu machen. Welche Auswirkungen könnte die "Lange Erde" sonst noch haben? Was würde ich machen? Welche Kuriositäten mag es auf entfernten Welten wohl noch geben?
Es spricht ja immer für die Klasse einer Idee, wenn sie es schafft, den Leser auch in den Lesepausen noch weiter zu beschäftigen. Das hier ist so eine Idee. Ganz einfach weil sie so unendlich viele Möglichkeiten bereithält. Aaaaaber:
- - - - - Verschenkte Möglichkeiten - - - - -
Irgendwie hat man beim Lesen permanent das Gefühl, dass die Idee hinter dieser Geschichte noch mehr hergegeben hätte. Die gewaltigen Veränderungen und Folgen, die
eine solch sensationelle Entdeckung mit sich bringen würde, werden nur in Ansätzen geschildert. Hier hätte man sich noch viel mehr konsequent zu Ende geführte Gedankenexperimente
gewünscht. Die Idee der unendlich vielen Erden hat riesiges Potenzial, doch stattdessen muss man den handelnden Personen oft tage-, wochen-, bzw. seiten- und
kapitellang dabei zusehen, wie sie tausende von Welten durchfliegen und sich dabei wechselnde Landschaften anschauen (zumeist Wälder). Da wäre
einfach noch mehr möglich gewesen.
Das Fazit
Eine spannende Grundidee, aus der leider zu wenig gemacht wurde.
Möglicherweise nimmt die Geschichte ja in den folgenden Bänden endlich richtig Fahrt auf und schöpft ihre Möglichkeiten voll aus, in diesem Buch wartet man - größtenteils - vergeblich darauf. Schade.