Caroline Hofstätter
Evergreen Ray
Findungstag & Der allerletzte Tag
2023
SP
335 / 323 Seiten
Caroline Hofstätter konnte schon im Jahr 2019 mit ihrem Debüt "Das Ewigkeitsprojekt" punkten. Ihr neuestes Werk ist die Geschichte um Evergreen Ray, die zwei zusammenhängende Teile umspannt.
Der erste Band der Dilogie spielt im Wien des Jahres 2095, in dem Leben und Alltag von einer allgegenwärtigen KI organisiert und bestimmt werden. So bekommen z.B. nach dem Schulabschluss alle Jugendlichen am sogenannten „Findungstag“ vom System vorgeschlagen, welchen beruflichen Werdegang sie einschlagen sollen. Die Richtigkeit dieser Vorschläge wird nicht angezweifelt, weiß doch die KI am besten, was gut für die Menschen ist. Dafür ist sie ja schließlich da.
Es ist in dieser Welt zudem kaum möglich, ohne sein „MyCom“ durchs Leben zu gehen – ein Armband, das jede/r ständig trägt und auf dem alle persönlichen Daten (wie beispielsweise der aktuelle Gesundheitszustand) erfasst sind und ausgelesen werden können.
Wie immer beim Themenkomplex Modernisierung / Technologisierung / Künstliche Intelligenz erweisen sich diese Errungenschaften als zweischneidiges Schwert: einerseits erleichtern sie vieles, andererseits haben sie die totale Überwachung zur Folge.
Die Handlung beginnt nun damit, dass sich unsere Hauptfigur vor dem System verstecken muss; sie hat eine falsche Identität angenommen und ist zudem in illegale Geschäfte verstrickt.
Warum genau sie sich versteckt, wie sie das System überlisten will und in welchen Problemen sie sonst noch steckt, wird nach und nach enthüllt. Spoiler: Es sind so einige!
Die zweite Hälfte der Dilogie, "Der allerletzte Tag", unterscheidet sich sowohl durch den Handlungsort als auch inhaltlich-dramaturgisch deutlich vom ersten Teil. Dennoch handelt es sich um eine durchgängige Geschichte, die nur mit beiden Büchern vollständig ist.
Die Story um Evergreen Ray umfasst insgesamt also gut 650 Seiten, aber die lohnen sich durchaus. Der Zweiteiler ist sprachlich sehr gut geschrieben und trotz des insgesamt doch ernsten Themas stets mit einem leicht humorvollen Unterton versehen. Die Spannungskurve ist geschickt aufgebaut und die hier gezeigte Welt komplex und - wenngleich bisweilen etwas überzeichnet - stimmig. Die drohenden Lovestory-Kitsch-Klippen werden umschifft (was nicht heißt, dass es keine Liebesgeschichte gibt, aber das ist ja nichts per se Schlechtes.)
Einiges mag vielleicht nicht 100%-ig glaubwürdig erscheinen, etwa in Bezug auf die allmächtigen KIs, die gottgleich behandelt werden und an denen fast niemand zweifelt. Auch wie Evergreens Überzeugungen mehrmals von einem Extrem ins andere schwanken, war nicht immer ganz nachvollziehbar.
Aber das stört nur minimal; ansonsten haben wir hier eine solide Geschichte mit angenehmer Erzählstimme, interessantem Weltenbau, kritischen Untertönen und nicht zuletzt realistischen Dialogen. Eine Leseempfehlung.