Philip K. Dick

Zeit aus den Fugen

"Time out of Joint"

 

1959

 

  

 

 

 

 

 

 

 

Übersetzung: Gerd Burger & Barbara Krohn

Fischer

256 Seiten

Neuauflage 2019



 

Der Hintergrund

"Zeit aus den Fugen" ist einer der frühen Romane Philip K. Dicks. Er gehört zwar nicht zu seinen berühmtesten, genießt aber unter Fans einen hohen Stellenwert, da hier erstmals die für Dicks späteres Werk so typischen Themen aufgegriffen werden.

 

 

Das Thema

Was ist Realität, was Illusion?

 

 

Der Einstieg

"Victor Nielson karrte einen Einkaufswagen voll Winterkartoffeln aus dem Kühlraum im hinteren Teil des Ladens zum Gemüsestand der Frischwarenabteilung."

Kein Eröffnungssatz, der einen auf Anhieb mitten ins Geschehen reißt. Aber das wird schon...

 

 

Der Inhalt

Abgesehen von seinem "Beruf" - er verdient sich seinen Lebensunterhalt mit Gewinnen aus dem wöchentlichen Preisausschreiben einer lokalen Zeitung - führt Ragle Gumm ein normales Leben in einer durchschnittlichen amerikanischen Kleinstadt in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Männer verdienen das Geld während die Frauen den Haushalt führen, Nachbarn laden sich gegenseitig ein, man kennt sich, man beobachtet sich, man spricht mit- oder übereinander, man hört Radio oder sieht fern...

Doch irgendetwas stimmt nicht. In letzter Zeit häufen sich in Ragles Umgebung merkwürdige Begebenheiten und unerklärliche Phänomene: Lichtschalter befinden sich plötzlich an der falschen Stelle, Gegenstände lösen sich in Luft auf, im Radio wird über ihn gesprochen, Zeitschriften berichten über angebliche Berühmtheiten von denen er noch nie gehört hat...

Wird er etwa langsam verrückt? Ist hier eine gewaltige Verschwörung im Gange? Geraten Zeit und Realität aus den Fugen?

 

 

Form, Stil und Sprache

Der Roman wurde in den 1950er Jahren geschrieben und das merkt man ihm auch an. Die Handlung entwickelt sich äußerst langsam und behäbig und die Sprache wirkt so altbacken und spießig wie die Zeit, in der die Geschichte spielt. Einerseits passt das zwar hervorragend zusammen, andererseits entspricht es überhaupt nicht mehr den heutigen Lesegewohnheiten. Man sollte also diese altmodische Art mögen, um das Buch genießen zu können.

 


Lob und Kritik

+++++ Interessantes Zeitdokument +++++

Der Roman wirft einen präzisen Blick auf ein typisch spießbürgerliches 50er-Jahre-Kleinstadtidyll. Das wirkt fast schon übertrieben klischeehaft, vermittelt dem Leser aber trotzdem - oder gerade deswegen - den Eindruck: so oder so ähnlich dürfte es in der amerikanischen Provinz seinerzeit ausgesehen haben. Dick beschreibt die Familien, Freunde und Nachbarn innerhalb dieses Mikrokosmos so wunderbar lebensecht und genau, dass man sich wirklich in jene Zeit hineinversetzt fühlt. So spröde wie der Alltag der Protagonisten ist übrigens auch seine Darstellung. Das ist große Erzählkunst.

 

- - - - - Wenig Tempo +++++

Die handelnden Personen wie auch ihre Umgebung werden sehr langsam eingeführt. Auch die Handlung baut sich erst ganz allmählich auf; lange Zeit ist nicht klar, wo es denn überhaupt hingehen soll. Ungeduldige Leser könnten deshalb frühzeitig das Interesse verlieren.

Aber wie oben schon erwähnt, harmoniert diese Erzählweise hervorragend mit der beschriebenen Zeit und Umgebung. Daher kann man sie zwar als Manko empfinden ... aber eben auch als gelungenen stilistischen Kniff.

Der Fairness halber soll nicht verschwiegen werden, dass sich das Tempo mit fortschreitender und tatsächlich auch dramatischer werdenden Handlung durchaus steigert. Ein explosiver Actionroman wird "Zeit aus den Fugen" aber bis zum Schluss nicht.

 

 - - - - - Offene Fragen - - - - -

Seltsame Dinge geschehen in Ragle Gumms Umgebung, von denen sich viele erst nach und nach im Laufe der Geschichte aufklären. Allerdings nicht alle! Einige der anfangs beschriebenen Merkwürdigkeiten bleiben bis zuletzt ungelöst, einzelne rätselhafte Begebenheiten laufen ins Leere. Leider entsteht beim Lesen der Eindruck, dass es sich dabei nicht immer um vom Autor bewusst offen gelassene Fragen handelt, die dem Leser Interpretationsspielraum lassen sollen, sondern es wirkt fast so, als seien sie schlicht vergessen oder zumindest vernachlässigt worden. Das ist dann doch etwas unbefriedigend.

 

+++++ Einflussreiche Idee +++++

Man kann die zahlreichen Bücher und Filme, die in den nachfolgenden Jahrzehnten die Grundidee dieses Romans aufgegriffen haben, nicht aufzählen, ohne zu viel vom Ausgang der Geschichte zu verraten. Aber allein die Tatsache, dass es eine ganze Menge waren und dass auch vierzig oder fünfzig Jahre später immer noch weitere dazukommen, zeigt, wie faszinierend und einflussreich sie ist.

 

  

Das Fazit

Für eingefleischte Philip K. Dick - Fans durchaus interessant und absolut lesenswert, da in diesem Buch bereits eine frühe Variante seines Haupt- und Lieblingsmotivs auftaucht.

Einsteigern ist aber eher einer seiner moderneren, bekannteren Romane zu empfehlen, denn bei dieser Geschichte könnte man vom langsamen Erzähltempo und dem recht antiquierten Schreibstil abgeschreckt werden.


Philip K. Dick

Zeit aus den Fugen

Eine sf-Lit Rezension von 2015